Der Maler der Nation
Dem 1918 verstorbenen Maler Ferdinand Hodler wird in der Schweiz vielfach eine besondere nationale Bedeutung zugesprochen. Seine Landschafts- und Historienbilder scheinen auf eigene Weise das Wesen des Landes auszudrücken. Noch 1991 definiert Jura Bruschwiler, Kunsthistoriker und Hodlerspezialist, Hodlers „Schweizerstil“ in diesen Worten: Hodler hat wohl akurater als mancher andere eine Anzahl von Eigenheiten des Schweizervolkes seiner Zeit kristallisiert. Dies äussert sich z.B. in seiner urkräftigen Strichführung, dieser angeborenen Potenz der Zeichnung, worin seine bäuerliche Hartnäckigkeit sich allen Hindernissen zum Trotz durchsetzt. Dies äussert sich auch in der feinfühligen Wahrheitstreue, die seinen Landschaften oder seinen Porträts innewohnt. Somit ergibt sich nicht nur eine nationale Thematik, sondern vor allem eine entsprechende Formulierung, die weder französisch, noch italienisch oder germanisch zu nennen ist. Sie schliesst etwas von der primitiven Kraft, der granitartigen Solidität und dem Gleichgewicht ein, die der Bergwelt und den Seelandschaften entstammen, in denen Hodler aufgewachsen ist.
In der kulturellen Aussenpolitik der Schweiz, deren ursprüngliches Ziel es ist, den schweizerischen Beitrag an die Kunst- und Kulturgeschichte deutlich zu machen, bestätigt sich die Bedeutung Hodlers bereits in der Zwischenkriegszeit. 1920 zeigt die Schweiz – sie nimmt erstmals an der Biennale von Venedig teil – ausschliesslich Werke Hodlers, und Pro Helvetia bedient sich nach dem Zweiten Weltkrieg des Berner Malers, um dem Ausland die Besonderheiten der Schweizer Kunst zu vermitteln.
1954 organisiert die Kulturstiftung eine erste grosse Hodler-Retrospektive in Deutschland, deren Ziel es ist, dem Maler einen prominenten Platz in der europäischen Kunstgeschichte zu sichern. An der Eröffnung der Ausstellung unterstreicht Jean-Rudolf von Salis, Präsident von Pro Helvetia, die Bedeutung der Schweiz im kulturellen Bereich und bezeichnet Hodler als Inbegriff der Schweizer Kunst: „Ferdinand Hodler war Schweizer. Er wurzelt im Heimatlichen, und die Deutlichkeit seiner Aussage – in Landschaft, Figur, Historie – weist auf diesen Ursprung.“ Dieser zeitlosen Betrachtungsweise entsprechend verzichtet die Jury der Ausstellung auf die symbolistischen Bilder, die einen gewissen Dialog mit jüngeren Kunstrichtungen ermöglicht hätten, und konzentriert sich in erster Linie auf die Landschaftsbilder.
In den 1970er Jahren organisiert Pro Helvetia Hodlerausstellungen in Japan und in den USA, wo der Maler bis zu diesem Zeitpunkt nahezu unbeachtet geblieben ist. Die Bilder Hodlers werden unter anderem im Guggenheim Museum von New York ausgestellt.
Während des ganzen 20. Jahrhunderts stellt Hodlers Werk einen festen Bestandteil der kulturellen Präsenz der Schweiz im Ausland dar. Die ihm zugesprochene Bedeutung löst sich allerdings schrittweise von der engen nationalen Betrachtungsweise und berücksichtigt immer mehr auch die europäischen Einflüsse. Darin spiegeln sich die Veränderungen im politischen Umfeld der Schweiz, geprägt von einem kulturellen Austausch, welcher die Idee der nationalen Eigenständigkeit obsolet macht. 1983 schreibt Luc Boissonnas, Direktor von Pro Helvetia, der ausschliessliche Blick auf das Nationale in der Malerei Hodlers habe bisher einen echten Dialog über seinen künstlerischen Ansatz verunmöglicht. Gleichzeitig werden innerhalb der Kulturstiftung die Hodlerausstellungen erstmals als künstlerisch überholt kritisiert.
Trotzdem setzen Hodlers Bilder unter dem Patronat von Pro Helvetia ihre Welttournee fort und sind 1988 Bestandteil prestigeträchtiger Ausstellungen in Leningrad und Moskau. 2007 findet im Musée d’Orsay in Paris eine weitere Retrospektive statt. In ihrem Grusswort unterlässt es Bundesrätin Micheline Calmy-Rey nicht, die künstlerischen Qualitäten der Bilder dieses „typisch schweizerischen“ Malers zu unterstreichen. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.5 1991/51, Bd. 273, 349, 350, 903, 933, 934, 935
Literaturhinweise
Ferdinand Hodler et les Suisses, Bern, Editions Pecel Art 1991
Menz-von der Mühll, Marguerite et Cäsar: Zwischen Kommerz, Kompromiss und Kunstvorstellung. Die Präsenz im Ausland, in: Der Bund fördert, der Bund sammelt. 100 Jahre Kunstförderung des Bundes, Bundesamt für Kultur, Bern 1988