Der „zweite Weg“ für die Dritte Welt

par Matthieu Gillabert

Matthieu Gillabert est historien et collaborateur au Domaine d’histoire contemporaine de l’Université de Fribourg. Après avoir défendu sa thèse sur la diplomatie culturelle suisse (Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse, Alphil, 2013), il mène actuellement ses recherches sur les échanges culturels Est-Ouest pendant la guerre froide et sur les mobilités étudiantes francophones après 1945.
, Matthieu Gillabert is collaborator at the Domaine d’histoire contemporaine (University of Fribourg, Switzerland). His doctoral thesis was published under the title Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse (Alphil, 2013) and he actually conducts some research on the East-West cultural exchanges during the Cold War and on the students’ mobility in the Francophonie after 1945.

Afrika
Kulturaustausch
technische Zusammenarbeit
Entkolonialisierung

Ethnographische Museen nehmen ihrem Wesen gemäss an den Kulturbeziehungen eines Landes teil. Dies umso mehr, als sich die Ethnologie anfangs des 20. Jahrhunderts eher dem Studium ferner und exotischer Völker als der Gesellschaft widmet, in der sie sich entwickelt. Gleichwohl müssen die Museen ihre Sammlungen dem einheimischen Publikum und den Forschenden vermitteln.

Während der 1970er Jahre befasst sich das Politische Departement mit der Frage, wie die Kulturaussenpolitik die sogenannte Dritte Welt, und zwar die südlich der Sahara gelegenen afrikanischen Länder, einbeziehen könnte. Wie lässt sich eine hauptsächlich auf geschriebene Sprache und allgemein bekannte Stereotypen bauende Kulturpolitik an eine Bevölkerung adressieren, die kulturell weiter entfernt und oft des Lesens unkundig ist? Bis zu diesem Zeitpunkt hat die technische Zusammenarbeit der Schweiz diese Frage nur am Rand in ihre Überlegungen einbezogen.

1976 veröffentlicht die von Paul Stauffer geleitete Kultursektion des Politischen Departements einen Bericht, der einen geheimnisvollen „zweiten Weg“ vorstellt. Worum geht es?

Der „zweite Weg“ soll das Defizit der seit Kriegsende praktizierten, auf Ausstrahlung ausgerichteten Kulturaussenpolitik mildern, indem er die ethnographischen Museen und die an Schweizer Universitäten ausgebildeten Ethnologen für den Kulturaustausch mit der Dritten Welt mobilisiert. Paul Stauffer geht von der Grundannahme aus, die entkolonisierten Länder seien auf der Suche nach ihrer Identität und müssten kulturelles Erbe erst wieder zusammensuchen. Ein Teil dieses Erbes befindet sich in einzelnen Schweizer Sammlungen, und immer mehr Forschende befassen sich mit damit. 1974 wird in Genf die Gesellschaft für Afrikastudien gegründet.

Es geht nicht um die Restitution von Kulturgütern seitens der Schweizer Museen, sondern um eine auf Ausbildung und Infrastruktur fokussierte Zusammenarbeit beim Aufbau kultureller Institutionen in den betreffenden Ländern. Diese Ausrichtung spiegelt die Diskussionen der von der UNESCO organisierten Konferenz von Venedig (1970), in deren Mittelpunkt die jedem Land zustehende „kulturelle Entwicklung“ steht.

Tatsächlich bildet sich vor allem die Einsicht heraus, dass die Entwicklungspolitik bei der Ausarbeitung ihrer Projekte die kulturelle Komponente nicht ausblenden darf. 1977 bestätigt dies Francesca Prometta, leitende Beamtin im Politischen Departement:

„Wenn es uns gelänge, das kulturelle Element […] in unsere Zusammenarbeit mit der Dritten Welt einzufügen, wäre dies eine Etappe, um das Problem zu überwinden, das sich aus dem Umstand ergibt, dass die ausschliesslich auf das Modell der wirtschaftlichen und technischen Leistung ausgerichtete Entwicklungshilfe für das Empfängerland immer auch eine Verwestlichung darstellt.“

Pro Helvetia verwirklicht diese Ziele in Teilen. Eine Nord-Süd-Kommission wird eingesetzt, die Drittwelt-Festivals in der Schweiz unterstützt, um einen wirklichen Dialog zu fördern und nicht nur eine einseitige Ausstrahlung von der Schweiz ins Ausland. In Biel findet beispielsweise ein Afrikaatelier statt, und das Internationale Filmfestival Freiburg erhält Beiträge von Pro Helvetia und von der technischen Zusammenarbeit. Im Zuge der Aufgabenbereinigung gibt Pro Helvetia nach der Jahrtausendwende die Unterstützung von Südkultur in der Schweiz auf. An ihre Stelle tritt die von den Hilfswerken getragene Initiative ArtLink mit einem Mandat der Direktion für Entwicklungszusammenarbeit. (mg)

Archivbestände:

BAR, E 2003 (A), 1990/3/400

medias

Filmfestival

Plakat des 3. "Festival de films du Tiers-Monde", in Freiburg (heute: Internationales Filmfestival Freiburg), 1986

neu

Der „zweite Weg“ für die Dritte Welt

1970 bis 2000

Ethnographische Museen nehmen ihrem Wesen gemäss an den Kulturbeziehungen eines Landes teil.

Die Auslandschweizer im Dienst der kulturellen Ausstrahlung

1916 bis 1976

Lange ist die Schweiz ein Auswanderungsland, das seine Bewohner in Zeiten wirtschaftlicher Schwier

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1949 bis 2016

Mit ihrem Beitritt zur UNESCO fügt sich die Schweiz nicht nur in eine Spezialorganisation der UNO

Rousseau Swiss Made

1945 bis 1968

Mit Vorliebe nutzt ihn die Schweizer Kulturdiplomatie, um das Bild der alpinen Idylle, der Schweiz

Ein Einblick in die Schweizer Kultur in Japan

1950 bis 1970

In Japan stehen Buchausstellungen hoch im Kurs, und die Schweizer Verlage nehmen in den 1950er und

Ein junger Historiker durchdenkt die kulturelle Ausstrahlung der Schweiz

1946

Pro Helvetia wird 1939 gegründet, um einen Beitrag an die kulturelle Selbstbehauptung zu leisten.

Architekten zeichnen die Pläne der ersten Kulturbeziehungen zwischen der Schweiz und Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg

1945

Nach dem Krieg ist die Frage der Kulturbeziehungen mit Deutschland ein offizielles Tabu.

Die Anfänge des Schweizer Pavillons an der Cité internationale universitaire

1925 bis 1933

Der Schweizer Pavillon an der Cité internationale universitaire von Paris befindet sich  an der Sc

Pro Helvetia, Männer... und Frauen!

1939 bis 2012

Pro Helvetia besteht vor allem aus einem Stiftungsrat mit 25 Mitgliedern und einem ständigen Sekre

Kultur und Bildung für den Frieden

1946

„Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert