Plakatausstellungen: die Ästhetik des Nützlichen
In der kulturellen Auslandpräsenz der Schweiz nimmt die Gebrauchsgrafik von Anfang an einen bevorzugten Platz ein. Im Katalog einer in den 1950er Jahren in zahlreichen Ländern gezeigten Plakatausstellung hält Pro Helvetia sogar fest, dass die grafischen Künste diejenige Richtung sind, in der der Schweizer Charakter am glücklichsten zum Ausdruck kommt. Spiegelt sich die Identität der Schweiz demnach in Werbeplakaten?
Ein kurzer Blick auf die Kunstgeschichte bestätigt die Affinitäten der Schweizer Künstler zur Gebrauchsgrafik. Auch wenn sich die Plakatkunst in der Schweiz später entwickelt als in den Nachbarländern, entdecken zahlreiche Maler anfangs des 20. Jahrhunderts das künstlerische Interesse an Plakaten. Der bekannteste unter ihnen ist Ferdinand Hodler, der 1904 für eine Ausstellung der Wiener Künstlerbewegung Secession ein von einer symbolistischen Formensprache geprägtes Plakat schafft. Gemäss dem Kunsthistoriker Jean-Charles Giroud bildet sich der sogenannte „Schweizer Stil“ in der Plakatkunst allerdings erst in den 1930er und 1940er Jahren heraus. Der Aufschwung der Schweizer Grafik erklärt sich insbesondere durch die 1933 erfolgte Schliessung des deutschen Bauhauses.
Zahlreiche in die Schweiz emigrierte oder zurückgekehrte Künstler führen die ästhetischen Recherchen des Bauhauses fort und sorgen für eine tiefgreifende Erneuerung der Plakatkunst. Unter dem Einfluss der geometrischen Abstraktion und der konkreten Kunst rückt eine Formensprache in den Mittelpunkt, die auf jegliche Ornamentik verzichtet. Gleichzeitig streben die den Prinzipien des Bauhauses verpflichteten Künstler nach einer Überwindung der Trennung zwischen Kunst und Handwerk. Damit ist das Plakat nicht mehr nur ein Werbeträger für eine Veranstaltung oder ein Produkt, sondern spiegelt auch ein auf der Demokratisierung der Kunst beruhendes Gesellschaftsideal.
Nach dem Zweiten Weltkrieg setzen hauptsächlich in Basel und Zürich zahlreiche Künstler die Arbeit der Pioniere der Zwischenkriegszeit fort. Sie entwickeln einen Plakatstil, der von einfachen Symbolen, typografischen und chromatischen Studien und der Abkehr vom Gegenständlichen geprägt ist. Seit den frühen 1940er Jahren zeichnet das Departement des Innern jährlich die besten Schweizer Plakate aus und verleiht damit der Gebrauchsgrafik einen offiziellen Status.
Die internationale Anerkennung des „Schweizer Stils“ macht die Plakate zu einem attraktiven und kostengünstigen kulturellen Exportprodukt. Zwischen 1950 und 1980 sendet Pro Helvetia jährlich mehrere Plakatausstellungen an teilweise weit entfernte Orte, wo sie die innovativen Charakter der Schweizer Grafiker veranschaulichen sollen. In der ausländischen Wahrnehmung der Schweiz festigen die Plakatausstellungen die Stereotypen der Qualitätsarbeit und der formalen Vollendung, die üblicherweise mit dem Herkunftslabel Swiss made in Verbindung gebracht werden. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.6 1991/51, Bd. 320, 321, 322, 425
Literaturhinweise
Giroud, Jean-Charles: Les artistes suisses et l’affiche, un siècle de fascination et de confrontation, Neuenburg, Association des amis de l’affiche suisse 2001