Die bunten Kühe der Champs-Elysées
Im Frühling 1972 blockiert ziemlich unerwartet eine Kuhherde den Verkehr auf dem Pariser Prachtboulevard Les Champs-Elysées. Die Kuhherde ist Bestandteil der von Pro Helvetia organisierten Ausstellung 31 artistes suisses contemporains und besteht aus zahlreichen Plastikkühen, die der Künstler Samuel Buri bemalt und vor dem Petit-Palais ausgestellt hat. Sie ist die auffälligste Installation der Ausstellung und verschafft auch ihrem Schöpfer eine grosse öffentliche Aufmerksamkeit. Die Plastikkühe stehen für die Wiederentdeckung und die Umwandlung nationaler Symbole unter dem Einfluss des amerikanischen Pop Art.
In den 1960er und 1970er Jahren gehört Samuel Buri, 1935 in Täuffelen im Kanton Bern geboren, zu den berühmtesten Schweizer Künstlern. In seinem Werdegang und in der Vielfalt seiner künstlerischen Arbeiten kommt ein Hauptmerkmal der Postmoderne zum Ausdruck, nämlich der gleichzeitige Rückgriff auf unterschiedliche Kunstströmungen und Methoden. Buris Werk entwickelt sich aus einem von der französischen Malerei der Jahrhundertwende beeinflussten Realismus hin zur abstrakten Kunst in ihrer tachistischen Ausprägung der 1950er Jahre. Anfangs der 1960er Jahre wendet sich Buri unter dem Einfluss der amerikanischen Pop Art wieder der gegenständlichen Kunst zu.
Das Interesse Buris für Kühe hat seinen Ursprung in einem Besuch des Salon de l’agriculture 1969 in Paris. Die erste Polyesterkuh entsteht ein Jahr später in Givry, im Burgund, wo Buri mit seiner Familie wohnt. Unter Anwendung einer ähnlichen Technik wie in seinen Bildern bemalt der Künstler seine Kühe in den verschiedensten Versionen und bezieht sie mit Gittern. Die ersten öffentlichen Auftritte der Tiere finden anlässlich verschiedener Viehmärkte in der französischen Provinz statt und ermöglichen eine Integration des Kunstwerks in den öffentlichen Raum. Drei Kühe verbringen den Sommer 1971 im Stadtzentrum von München. Anfangs 1972 begibt sich die ganze Herde nach Paris und wird Teil der von Pro Helvetia organisierten Ausstellung.
Obschon die vor den Toren des Petit-Palais aufgestellten Kühe vom Publikum mit den traditionellen touristischen Bildern der Schweiz in Verbindung gebracht werden, haben sie keinerlei nationale Funktion. Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre betrachtet sich Buri als französischer Künstler und stellt 1970 seine Werke im französischen Pavillon der Biennale von Venedig aus. Seine Kühe veranschaulichen in einer für den Pop Art typischen Weise das Spiel mit den von der Konsumgesellschaft produzierten Bildern.
Neben den Kühen entdeckt Buri während der gleichen Schaffensperiode noch weitere Markenzeichen seines Herkunftslandes für seine künstlerische Arbeit neu. 1967 schafft er das Bild Berner Oberland, dessen Ausgangspunkt eine in der Zeitung Le Monde erschienene Anzeige ist. In diesem Werk, das gewisse Analogien mit dem Gemälde Berner Alpen von Ferdinand Hodler aufweist, verwandelt der Pop Art eine ursprünglich national bestimmte Bildsprache in ein banales Produkt der Konsumgesellschaft, ähnlich wie bei den Coca Cola-Dosen des amerikanischen Künstlers Andy Warhol. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.6 1991/51, Bd. 858
Literaturhinweise
Denzler, Jörg: Samuel Buri – ein Maler zwischen Avantgarde und Rückzug, Frankfurt, Bern, P. Lang 1990
Katz, Katharina: Samuel Buri: Monographie, Bern, Benteli 1995