Die Welt im Fokus der Schweizer Fotografen
Im Februar 1978 eröffnet der Schweizer Botschafter im Iran eine Fotoausstellung, die im Verlauf ihrer Weltreise auch in einigen Städten dieses Landes Halt macht. In den Räumlichkeiten des Museums für zeitgenössische Kunst in Teheran hat das Publikum zum ersten Mal Gelegenheit, einen Ausschnitt aus dem Schaffen der Schweizer Fotografen zwischen 1840 und der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kennenzulernen. Die Werke stammen unter anderem von Gertrud Dübi-Müller, Hans Staub, Gotthard Schuh, Werner Bischof und Luc Chessex und vermitteln einen Eindruck vom Alltag in der Schweiz der 1930 Jahre, von den nach dem Zweiten Weltkrieg eintretenden sozialen Veränderungen und den Strassenschlachten 1968 in Zürich. Ab den 1950er Jahren treten ferne Länder wie Indien und Peru in den Fokus der Fotografen und werden zum Gegenstand umfangreicher Reportagen. Daneben berücksichtigt die in Teheran gezeigte Ausstellung auch bestimmte Kunstgenres wie Porträtaufnahmen und den fotografischen Essay.
Im Iran markiert die von Pro Helvetia durchgeführte Fotoausstellung den seltenen Moment einer gewissen kulturellen Präsenz der Schweiz. Während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet dieses Land kaum Berücksichtigung in der Schweizer Kulturaussenpolitik, abgesehen von einer Konzertreise der Freiburger Landwehr, die 1971 von Pro Helvetia in offizieller Mission an die Feierlichkeiten zum 2500-jährigen Jubiläum Persiens geschickt wird.
Auch die Fotografie ist zum Zeitpunkt der Iraner Ausstellung noch ein spärlich eingesetztes Mittel der Kulturaussenpolitik. Zum ersten Mal organisiert Pro Helvetia 1958 eine Fotoausstellung, die dem Werk Werner Bischofs gewidmet ist und in mehreren europäischen Ländern gezeigt wird. Der vermehrte Einbezug der Fotografie in die Auslandtätigkeiten von Pro Helvetia ist im Wesentlichen der Schweizer Fotostiftung zu verdanken, die 1971 in Zürich mit dem Ziel gegründet wird, das fotografische Erbe der Schweiz zu erhalten und zu erschliessen. 1974 unterstützt Pro Helvetia eine von der Fotostiftung im Kunsthaus Zürich und im Musée Rath in Genf gezeigte Ausstellung. Ein Jahr später baut die Kulturstiftung diese Veranstaltung zu einer Wanderausstellung um, die unter dem Titel Photographie in der Schweiz: von 1840 bis heute in mehreren Exemplaren ins Ausland geschickt wird.
Dem Ausland vermittelt die Ausstellung das Bild eines weltoffenen Landes, das mit den gleichen Problemen wie andere Länder konfrontiert ist. Die zahlreichen Fotoreportagen aus wenig bekannten Ländern Asiens und Südamerikas zeugen von einem echten Interesse an anderen Kulturen. Im Ausstellungskatalog schreibt der Schriftsteller Hugo Loetscher, der Blick auf das Andere bedeute gleichzeitig die Infragestellung des Eigenen. In diesem Sinn kann die in die Ausstellung integrierte Fotoreportage Gotthard Schuhs über den Mussolini-Besuch 1938 in Berlin auch als Anregung zum Nachdenken über die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs gelesen werden. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.6 1991/51, Bd. 342
Pro Helvetia, Protokolle Gruppe I
Literaturhinweise
Photographie in der Schweiz von 1840 bis heute, Zürich, Kunsthaus 1974