Diskussionen um den kulturellen Teil des Schweizer Pavillons an der Weltausstellung von Brüssel
Mit der Teilnahme an den Weltausstellungen hat die Schweiz das Gewicht erhöht, das sie der Imagepflege im Ausland beimisst. Zwischen den Ende des 19. Jahrhunderts und dem Zweiten Weltkrieg verändern sich die Darstellungen des Landes rasch. Anschliessend dauert es fast zwanzig Jahre, bis 1958 in Brüssel wieder eine Weltausstellung stattfindet.
Die Weltausstellung von Brüssel fällt in den Kalten Krieg und in das prosperierende Klima des Wirtschaftsbooms der Nachkriegszeit. Der Schweizer Pavillon fügt sich in dieses Gesamtbild mit der Betonung traditioneller westlicher Werte und dem Beitrag des Landes zu Fortschritt und Zivilisation.
Die wirtschaftlichen Akteure sichern sich einen beträchtlichen Teil des Schweizer Pavillons: 3700 Quadratmeter, gegenüber 500 Quadratmetern für die Kultur. Die Uhrenindustrie rückt sich mit der Ausstellung der Atomuhr und von drei Wandbildern Hans Ernis zum Thema „Die Eroberung der Zeit“ ins Scheinwerferlicht.
Der junge Architekt Werner Gantenbein, der den Schweizer Pavillon auch an der Weltausstellung von Montreal 1967 gestalten wird, entwirft einen aus wabenähnlich aneinander gefügten Räumen bestehenden Pavillon. Gemäss seinen Worten sollen diese als „Einheit in der Vielfalt“ das organische Leben der eidgenössischen Gemeinschaft darstellen und sich gleichzeitig von Monumentalbauten abgrenzen, die mit den Schweizer Sitten im Widerspruch stünden.
Im November 1956 wird Adolf Guggenbühl mit einer ersten Skizze für den Kulturteil des Pavillons beauftragt. Im Anklang an die Landi von 1939 entwirft er ein Konzept, das die menschliche Gestaltung des technologischen Fortschritts ins Zentrum rückt. Es umfasst sieben Phasen, die in ebenso vielen Ausstellungsräumen und Slogans umgesetzt werden.
Der Pavillon insgesamt weist keine grossen Neuerungen bezüglich des vermittelten Schweizer Selbstbildes auf. Einzig das Kulturprogramm zeigt sich etwas lebhafter. Neben einigen Folkloredarbietungen und dem Oratorium Le vin herbé von Frank Martin werden auch kritische Theaterstücke wie Biedermann und die Brandstifter von Max Frisch, interpretiert vom Schauspielhaus Zürich, und La fête au village vom Frank Jotterand der Gruppe Faux-Nez aufgeführt.
Die Veranstalter werten die Ausstellung als Erfolg: Viereinhalb Millionen Besucher begeben sich in den Schweizer Pavillon. Sie kann auch als letzte grosse Veranstaltung angesehen werden, die bedeutende politische, finanzielle und kulturelle Mittel für einen hauptsächlich in wirtschaftlichen und traditionell nationalen Werten noch fest verankerten Konsens in Anspruch nimmt.
In den Kulissen allerdings regt sich Kritik. Einige Intellektuelle kritisieren eine Modernität, welche die geistigen Tätigkeiten vernachlässige; so meldet sich Maurice Zermatten in der Gazette de Lausanne (5.8.1958) zu Wort meldet und schreibt in Bezug auf die Kultur im Schweizer Pavillon: „Das Stillschweigen weckt Bedauern; dieses Auftreten macht uns lächerlich“. Andere kritisieren in einer radikaleren Weise das in Brüssel dargestellte erstarrte Wertesystem, so wie Frank Jotterand in der gleichen Tageszeitung. Der nächste Termin – die Landesausstellung von 1964 in Lausanne – wird die nationale Selbstdarstellung wesentlich heftiger erschüttern. (mg)
Archivbestände:
AFS, E2003 (A), 1971/44/850.
AFS, E9043-01, 2006/177/308.
« Der Schweizer Pavillon an der Internationalen Weltausstellung 1958 in Brüssel », in Das Werk, Bd. 45, 1958, p. 345-348.
« Ausstellungen », in Das Werk, Bd. 43, 1956, p. 115-117.
Fonds Gabus, Musée d’ethnographie Neuchâtel
Bibliographie:
Jost Hans Ulrich, « Anfänge der kulturellen Aussenpolitik der Schweiz », in Altermatt Urs ; Garamvölgyi Judit (Hrsg.), Innen- und Aussenpolitik: Primat oder Interdependenz? Festschrift zum 60. Geburtstag von Walther Hofer, Bern/Stuttgart : Haupt, 1980, p. 581-590.