Engagement der Presse in den Kulturbeziehungen zwischen West und Ost

par Matthieu Gillabert

Matthieu Gillabert est historien et collaborateur au Domaine d’histoire contemporaine de l’Université de Fribourg. Après avoir défendu sa thèse sur la diplomatie culturelle suisse (Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse, Alphil, 2013), il mène actuellement ses recherches sur les échanges culturels Est-Ouest pendant la guerre froide et sur les mobilités étudiantes francophones après 1945.
, Matthieu Gillabert is collaborator at the Domaine d’histoire contemporaine (University of Fribourg, Switzerland). His doctoral thesis was published under the title Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse (Alphil, 2013) and he actually conducts some research on the East-West cultural exchanges during the Cold War and on the students’ mobility in the Francophonie after 1945.

Geistige Landesverteidigung
Kalter Krieg
Gegenwartskunst
Osteuropa

Seit Beginn des Kalten Krieges beschränken sich die Kulturbeziehungen der Schweiz auf die westliche Seite des Eisernen Vorhangs, der Europa trennt. Angesichts geringer wirtschaftlicher Interessen, eines von den wichtigen Akteuren der Politik weitgehend mitgetragenen Antikommunismus und der kulturellen und sprachlichen Distanz zu den osteuropäischen Ländern gibt es kaum Gründe, sich in den Ostblock vorzuwagen.

Nach der Ungarnkrise von 1956 wird die Frage der Kulturbeziehungen mit dem Ostblock eingehend erörtert. Mehrere patriotische Vereinigungen rufen zu einem Totalboykott auf. Allerdings werden auch Stimmen laut, die eine solche Abwehrhaltung kritisieren. Der junge Schriftsteller Walter Matthias Diggelmann stellt einen Zusammenhang zwischen der Abwehrhaltung und der Geistigen Landesverteidigung in der Schweiz der 1930er Jahre her. Auch einige Zeitungen sprechen sich für Kontakte mit dem Ostblock aus und bekräftigen, dass ein solcher Kulturaustausch für die östlichen Volksrepubliken fraglos grössere Risiken birgt als für den Westen.

Vor diesem Hintergrund kommt es 1960 zu einem originellen Experiment: ein Austausch der Kulturbeilagen des Journal de Genève und der Życie Warszawy, einer Tageszeitung Polens, wo sich das politische Klima seit der Amtsübernahme von Władysław Gomułka 1956 etwas entspannt hat. Die Idee stammt von Florian Uryzaj, dem Kulturattaché der polnischen Botschaft in Bern, und von Walter Weideli, Dramatiker und Journalist beim Journal de Genève. Beide verfolgen das Ziel, in der Zeitung die Kulturszene des jeweilig anderen Landes vorzustellen.

So beschreibt die auf polnisch übersetzte Kulturbeilage des Journal de Genève das kulturelle und künstlerische Leben der Schweiz für die Leser von Życie Warszawy. Umgekehrt kommen die Leser der Genfer Tageszeitung in den Genuss eines von der Warschauer Tageszeitung auf Französisch veröffentlichten Heftes über den Stand des Kulturlebens in Polen. Bereits vorher versuchte Frank Jotterand in der Gazette de Lausanne ein ähnliches Experiment mit der Reihe von Artikeln über die polnische Gegenwartskultur. Die Neue Berner Zeitung veröffentlichte ebenfalls ein Heft über Polen. Das Journal de Genève beschreitet mit der gleichzeitigen Veröffentlichung neue Wege.

Die Botschaften in Warschau und Bern kümmern sich um die Zusammenstellung der Artikel und um deren Übersetzung. Die beiden Botschafter, Friedrich Gygax für die Schweiz und Józef Koszutski für Polen, verfassen die Einleitungen der Hefte. Pro Helvetia beteiligt sich ebenfalls und finanziert gewisse Artikel. Zentrale Figuren der Kulturszene schreiben schliesslich die Beiträge für das jeweilige Heft. In der Schweizer Beilage beschreibt beispielsweise Hugo Loetscher das Theaterleben in Zürich, Walter Weideli behandelt das gleiche Thema für die französischsprachige Schweiz. Ernest Ansermet äussert sich zur musikalischen Avantgarde, Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt veröffentlichen zwei literarische Texte. Gesamthaft ergibt sich das Bild einer dynamischen helvetischen Kulturszene, das ebenfalls klassischere Perspektiven einschliesst, so wie sie Charly Guyot in seinem Artikel über die Westschweizer Literatur skizziert.

Die Ausrichtung des polnischen Hefts gleicht stark derjenigen seines Schweizer Pendants. Kulturelle Errungenschaften finden Erwähnung, unter anderem die von Andrzej Wajda geprägte und von Andrzej Munk vorgestellte Filmschule. Die Schwierigkeiten, mit denen polnische Kulturschaffende und Kulturanimatoren kämpfen, finden diskrete, doch ausführlichere Erwähnung als jene ihrer Schweizer Kollegen im Schweizer Heft.

Die apolitische Haltung gilt als Grundvoraussetzung. Während der Umsetzung beweisen sowohl auf Schweizer wie auf polnischer Seite mehrere Episoden, dass die Organisatoren gewissenhaft vorgehen. So wird ein erster, zu engagierter Text von Max Frisch abgelehnt, ebenso wie ein Artikel der Schriftstellerin Maria Dąbrowska. Trotzdem kann das Journal de Genève am 12. November 1960 auf der Seite 1 triumphierend titeln: Heute lesen zwei Millionen Polen das Journal de Genève. (mg)

Archivbestände
BAR, E 2200.151, 1976/88/18 (Botschaft in Warschau)

Literaturhinweise
Matthieu Gillabert, Pro Helvetia auf der internationalen Bühne. Vorstellung in vier Akten, in Zwischen Kultur und Politik. Pro Helvetia 1939 bis 2009, Zürich, NZZ 2010.

 

medias

Journal de Genève, 12.11.1960

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