Paul Klee: eine Frage der Nationalität
1974 haben australische Kunstinteressierte zum ersten Mal Gelegenheit, das Werk eines Malers zu entdecken, der oft als Aushängeschild der Schweizer Kunst des 20. Jahrhunderts schlechthin genannt wird: Paul Klee. In Zusammenarbeit mit dem Australian Council for the Arts zeigt Pro Helvetia eine von einem zahlreichen Publikum besuchte Ausstellung dieses Künstlers in Sydney, Melbourne und Adelaide.
Paul Klee entwickelt sich während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem der wichtigsten Botschafter der Schweizer Kunst, obschon er zu Lebzeiten in seiner Wahlheimat auf wenig Zustimmung gestossen ist. Während der Geistigen Landesverteidigung der 1930er und 1940er Jahre lehnt das Publikum Klees abstrakte Werke mehrheitlich ab, während die NZZ sie 1940 sogar in die Nähe der Schizophrenie rückt. Nach einer gründlichen Untersuchung spricht sich das Berner Polizeikommando 1939 gegen die Einbürgerung Klees aus, den es wegen seiner umstrittenen Kunst als potentiellen Sozialfall ansieht.
Auch Pro Helvetia bekundet anfangs Mühe, den in Münchenbuchsee geborenen Künstler deutscher Staatsangehörigkeit als Vertreter des Schweizer Kunstschaffens anzuerkennen. Sein „Schweizertum“ ist in der Gruppe I ebenso umstritten wie dasjenige des bereits eingebürgerten Komponisten Wladimir Vogel. Mit ihrer Haltung steht Pro Helvetia nicht allein. 1948 interveniert der Schweizer Konsul in Los Angeles auf Anordnung des Politischen Departements bei der Zeitung The Los Angeles Times, die Klee fälschlicherweise als Schweizer Maler bezeichnet hatte.
Im Ausland stösst der offizielle Boykott der Werke Paul Klees auf wenig Verständnis. Anlässlich einer Ausstellung zeitgenössischer Schweizer Malerei in Stockholm 1950 wird er von der schwedischen Presse mit Hohn und Spott kommentiert: Hier sucht man einen Namen, den grössten in der modernen schweizerischen Kunst: Paul Klee. Wie kommt es, dass er vergessen worden ist, während ein ganzer Haufen uninteressanter Künstler als würdig befunden wurden, ihr Land zu vertreten? Das ist armselig. Und es ist unnötig.
Das unumstrittene internationale Prestige Paul Klees erweist sich in der Folge als gewichtigeres Argument als Erwägungen zum Stammbaum.
Der kulturelle Auslandpressedienst von Pro Helvetia entdeckt als erster den Nutzen Klees für die Kulturpropaganda. In einem 1955 verbreiteten Artikel veranschaulicht die Biografie Paul Klees die traditionelle schweizerische Gastfreundlichkeit in Zeiten politischer Intoleranz: Als 1933 über Deutschland die Finsternis der Nazizeit hereinbrach, in der für Geister wie Klee kein Raum mehr war, wandte er sich […] wieder der Schweiz zu. […] Klee wusste, dass er hier ein ihm von Jugend auf vertrautes geistiges Klima vorfinden werde. Diese Gewissheit und eine in politischen Dingen immer wachsamer werdende öffentliche Meinung waren dazu angetan, ihm ein Gefühl von Geborgenheit zu geben.
1956 schliesslich berücksichtigt Pro Helvetia erstmals Werke Paul Klees in einer Ausstellung, die im franquistischen Spanien auf eine entsprechende Einladung des Bildungsministeriums gezeigt wird. Letzteres verlangt ausdrücklich den Einbezug von Bildern des als Schweizer angesehenen Künstlers. Klees posthume Karriere als Schweizer Kulturbotschafter kann so im Winter 1956 in Madrid und Barcelona beginnen und führt zwanzig Jahre später bis nach Australien. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.6 1991/51, Bd. 76, 277, 352
Literaturhinweise
Dreissiger Jahre Schweiz, ein Jahrzehnt im Widerspruch: Ausstellung Kunsthaus Zürich, 30.10.-10.2.1982, Zürich, Kunsthaus 1981