Pro Helvetia und die Geistige Landesverteidigung
Pro Helvetia, das wichtigste Instrument der Kulturpolitik des Bundes, ist das Kind der Geistigen Landesverteidigung und die Schwester der Landesausstellung (Landi) von 1939. Die ihr übertragenen Aufgaben der „Kulturwahrung“ und „Kulturwerbung“ ergeben sich in den 1930er Jahren aus der Notwendigkeit, gegenüber den totalitären Einflüssen des Naziregimes die eigene kulturelle Identität zu stärken. Die Behauptung der nationalen Unabhängigkeit stützt sich hauptsächlich auf die Konstruktion einer Schweizer Kulturgeschichte, die als Resultat eines Dialogs zwischen den wichtigsten europäischen Kulturräumen angesehen wird. Die 1939 in der provisorischen Form einer Arbeitsgemeinschaft gegründete Pro Helvetia steht im Zeichen dieser geistigen Mobilisierung und sollte dem Zweck dienen, dem ausländischen Publikum mit kulturellen Veranstaltungen das „Helvetische“ näherzubringen. Kriegsbedingt beginnen die Aktivitäten im Ausland erst in der zweiten Hälfte der 1940er Jahre.
Bis Ende der 1950er Jahre bleibt Pro Helvetia ihren geistigen Wurzeln treu und verbreitet über ihre Auslandaktivitäten die wichtigsten Thesen der Geistigen Landesverteidigung. Die von ihr organisierten Ausstellungen betonen die besondere und „eigene“ Ausprägung der Schweizer Kunst, und der Pressedienst der Stiftung stützt mit seiner Informationspolitik die Ideologie des Sonderfalls.
Diese Ausrichtung der Kulturaussenpolitik ist wegen der besonderen Stellung von Pro Helvetia am Schnittpunkt von Politik und Kultur jedoch nicht von Dauer. Die Kritik am Konformismus und an der Enge der Schweiz, die in den 1960er Jahren hauptsächlich die Kulturschaffenden selbst formulieren, führt zu einem Wandel. Die Unterstützung nonkonformistischer Strömungen und Projekte erweist sich als unerlässlich, um eine Entfremdung von der zeitgenössischen Kulturszene zu verhindern. Allerdings bringt diese Haltung Pro Helvetia oft in Gegensatz zu den orthodoxen Strömungen der Geistigen Landesverteidigung, die während des Kalten Krieges kaum an Einfluss einbüssen.
Während des Mandats von Jean-Rudolph von Salis, der Pro Helvetia von 1952 bis 1964 als Präsident vorsteht, treten die Spannungen besonders deutlich zutage. Der Historiker und Publizist setzt sich für den Kulturaustausch mit dem Ausland ein und verfolgt eine Politik der Öffnung gegenüber den Ländern des Ostblocks. Letztere wird vom Schweizerischen Aufklärungsdienst scharf kritisiert, der sich eine Verstärkung der Geistigen Landesverteidigung gegen den Kommunismus zum Ziel gesetzt hat. 1961 kritisiert von Salis in einem Brief an den Bundesrat in deutlichen Worten die totalitären Tendenzen des Antikommunismus, den er mit dem Geist der Nazi-Zeit in Verbindung bringt.
Die Emanzipation von Pro Helvetia von ihrer ursprünglichen Rolle bleibt nicht ohne Folgen für die kulturelle Präsenz der Schweiz im Ausland. Während die Informationspolitik der Stiftung anfangs hauptsächlich das Ziel verfolgte, die nationalen Mythen zu festigen, beginnt sie in den 1970er und 1980er Jahren, diese selbst in Frage zu stellen. 1984 beispielsweise ist in einem von Pro Helvetia bestellten und im Ausland verbreiteten Geschichtsbuch der Schweiz zu lesen: Die Schweiz wird manchmal als älteste Demokratie der Welt bezeichnet. Unser Ziel ist es nicht, die Berechtigung dieses Titels zu prüfen, sondern lediglich in groben Zügen die Entwicklung des Landes von den Ursprüngen bis heute zu skizzieren.
Mehr als vierzig Jahre nach ihrer Gründung verlässt Pro Helvetia die Ebene der Ideologie und des Mythos, um sich der Gegenwart zuzuwenden. (tk)
Literaturhinweise
Mooser, Josef : Die ‚Geistige Landesverteidigung’ in den 1930er Jahren, in: Schweizer Zeitschrift für Geschichte 1997 Nr. 4, S. 685-708
Geistige Landesverteidigung : helvetischer Totalitarismus oder antitotalitärer Basiskompromiss? in: Die Erfindung der Schweiz 1848-1998. Bildentwürfe einer Nation, Zurich, Chronos 1998, S. 364-379