Von den "Espaces" bis Hirschhorn
1975 führt Pro Helvetia zum ersten Mal in der Geschichte ihrer Auslandtätigkeiten eine Veranstaltungsreihe durch, die sich auf mehrere Monate erstreckt und interdisziplinär ausgerichtet ist. In den von der Schweizer Verkehrszentrale zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten in Paris finden Ausstellungen, Theateraufführungen, Filmabende und Konzerte statt. Im Einklang mit den neuen Prioritäten der Kulturstiftung während der 1970er Jahre steht die Veranstaltungsreihe im Zeichen des zeitgenössischen Kunstschaffens und legt Wert auf den Dialog zwischen Schweizer und französischen Künstlern. Nicht nur in Bezug auf seinen Inhalt, sondern auch auf organisatorischer Ebene betritt Pro Helvetia mit dem Programm Neuland. Erstmals führt sie ein Grossprojekt ohne Beteiligung der diplomatischen Vertretungen durch. Diese Wahl zieht strukturelle Gegensätze nach sich, die sich 1975 unter anderem darin äussern, dass sich der Schweizer Botschafter weigert, der Eröffnung des Veranstaltungszyklus beizuwohnen.
Der selbst für Pro Helvetia überraschende Erfolg der in Paris organisierten Veranstaltungen veranlasst die Kulturstiftung, diese neue Art kultureller Präsenz zu institutionalisieren. Die als Plattform für die neuesten Kunstströmungen konzipierten Espaces finden erstmals 1976 statt und bieten einen geeigneten Rahmen für zahlreiche innovative Projekte, unter anderem im Bereich des Films.
In Paris vermitteln die Espaces ein ungewohntes und von den üblichen Klischees befreites Bild der Schweiz. Die Tageszeitung Le Figaro kommentiert 1977: die brave Schweiz habe nicht gezögert, den Ausstellungen, Aufführungen und Debatten mit einer Dosis Verrücktheit, einer Prise Avantgarde und einer Portion ausgefallener Pinselstriche Würze zu verleihen.
Anfangs der 1980er Jahre weitet Pro Helvetia das Veranstaltungsmodell der Espaces auf andere französische Städte und auf Deutschland und Österreich aus, wo es unter dem Namen Szene Schweiz durchgeführt wird. 1985 münden die Espaces in Paris in die Gründung des Centre Culturel Suisse, dem ersten von Pro Helvetia betriebenen Kulturzentrum im Ausland.
Der von den Espaces verkörperte Wandel vom Prinzip der kulturellen Repräsentation zu einem rein künstlerisch motivierten Austausch erweist sich in der Präsenz der Schweiz im Ausland als Konfliktquelle. Das bekannteste Beispiel für diese Entwicklung ist die 2004 im Centre Culturel Suisse von Thomas Hirschhorn organisierte Ausstellung Swiss Swiss Democracy. Die umstrittene Auseinandersetzung des Künstlers mit der direkten Demokratie löst in der Schweiz einen Skandal aus und veranlasst das Parlament, das Budget von Pro Helvetia fürs Folgejahr um eine Million zu kürzen. In Zusammenhang mit der Ausstellung werfen zahlreiche Parlamentarier der Kulturstiftung vor, die Schweiz im Ausland zu verunglimpfen und ihren Namen in den Schmutz zu ziehen. Gleichzeitig beginnt eine grundsätzliche Debatte über die Autonomie der Kulturstiftung und über das Bild der Schweiz, das die kulturelle Präsenz im Ausland vermitteln soll. Der Skandal um die Ausstellung von Thomas Hirschhorn veranschaulicht den seit den 1970er Jahren bestehenden Gegensatz zwischen Imagewerbung und Kulturaustausch. (tk)
Archivbestände
BAR E9510.6 1991/51, Bd. 1022, 1085
Literaturhinweise
Hauser, Claude; Tanner, Jakob; Seger, Bruno (Hrsg): Zwischen Kultur und Politik. Pro Helvetia 1939-2009, NZZ-Libro, Zürich 2010