Kennt die Schweiz die Figur des Schriftsteller-Diplomaten?

par Matthieu Gillabert

Matthieu Gillabert est historien et collaborateur au Domaine d’histoire contemporaine de l’Université de Fribourg. Après avoir défendu sa thèse sur la diplomatie culturelle suisse (Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse, Alphil, 2013), il mène actuellement ses recherches sur les échanges culturels Est-Ouest pendant la guerre froide et sur les mobilités étudiantes francophones après 1945.
, Matthieu Gillabert is collaborator at the Domaine d’histoire contemporaine (University of Fribourg, Switzerland). His doctoral thesis was published under the title Dans les coulisses de la diplomatie culturelle suisse (Alphil, 2013) and he actually conducts some research on the East-West cultural exchanges during the Cold War and on the students’ mobility in the Francophonie after 1945.

Literatur
relations diplomatiques
Reise

Mit dem Beginn der modernen Diplomatie tritt eine neue Figur in Erscheinung, die in der Welt der Regierungskanzleien ebenso zu Hause ist wie in derjenigen der Bücher, nämlich der Schriftsteller-Diplomat. Das Schreiben von diplomatischen Rapporten und von literarischen Texten steht im Mittelpunkt seiner Doppeltätigkeit und befruchtet sich gegenseitig. Die Reiseerfahrungen begünstigen das literarische Schreiben, zunehmende schriftstellerische Geübtheit ihrerseits erlaubt es, für das Ministerium genauere und aussagekräftigere Berichte zu verfassen.

Die Figur des Schriftstellers und Diplomaten tritt Anfang des 20. Jahrhunderts in Frankreich auf den Plan mit Persönlichkeiten wie Paul Claudel, Alexis Léger alias Saint-John Perse und Paul Morand. Claudel ist wahrscheinlich der einzige, der die Laufbahn des Schriftstellers und diejenige des Diplomaten gleichzeitig in Angriff nimmt. Die anderen profitieren vor allem von der 1920 erfolgten Einrichtung des Dienstes für französische Werke im Ausland (Service des œuvres françaises à l’étranger). Dabei handelt es sich um eine Neuerung des französischen Aussenministeriums für die Kulturdiplomatie nach dem Ersten Weltkrieg.

Wie verhält es sich in der Schweiz? Die diplomatischen Strukturen sind zu diesem Zeitpunkt noch wenig entwickelt, und das Schweizer Verlagswesen, auf mehrere Sprachregionen verteilt, ist mit dem französischen nicht vergleichbar. Dies wirkt sich auf die Schweizer Schriftsteller aus, die ihre Werke oft in Frankreich oder Deutschland veröffentlichen und nur selten die Rolle nationaler Kulturbotschafter spielen können, wie dies ihre Kollegen aus den Nachbarländern tun.

Bei genauem Hinschauen zeigt sich, dass gewisse Schweizer Persönlichkeiten sehr wohl auf der diplomatischen wie auf der literarischen Ebene tätig waren, oft abwechslungsweise. Der Botschafter im Ruhestand Jacques Rial veröffentlichte 2008 eine beinahe lückenlose Bibliografie der von Schweizer Diplomaten seit 1848 verfassten Werke (Le bicorne et la plume). Bei den meisten Werken handelt es sich um angewandte juristische und wirtschaftliche Studien. Dennoch haben gewisse Diplomaten auch literarische Texte veröffentlicht. In diese Kategorie fallen in erster Linie die am Ende der Laufbahn verfassten Memoiren, die das eigene Handeln bekannt machen oder rechtfertigen sollten. Die diesbezüglich wichtigsten Werke sind diejenigen der beiden Staatssekretäre Albert Weitnauer und Eduard Brunner. Wie aber verhält es sich mit der Fiktion?

Vor dem Zweiten Weltkrieg ist der Freiburger René de Weck der wahrscheinlich produktivste Diplomat. In der Zwischenkriegszeit verfasst er mehrere Romane und verfügt gleichzeitig über ausgedehnte Kontakte in literarischen Kreisen. Erwähnenswert sind auch auf das lyrische Werk des Schweizer Ministers in Tokio während des Krieges, Camille Gorgé, sowie die Erzählungen von Frédéric Barbey. Diese Autoren gleichen sich in der klaren Trennung, die sie zwischen ihrer diplomatischen und schriftstellerischen Tätigkeit vollziehen. Es ist zu sagen, dass die zurückhaltende Schweizer Diplomatie literarisches Prestige nicht als Trumpf bei der Betreuung nationaler Angelegenheiten im Ausland betrachtet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelingt einem neuen Typus der Einzug in die diplomatischen Zirkel. In den wichtigen Gesandtschaften wie Washington, London und Paris werden Presseattachés und in manchen Fällen sogar Kulturattachés angestellt, unter anderem aufgrund ihrer redaktionellen Fähigkeiten. Bernard Barbey stellt das für diese Laufbahn wohl typischste Beispiel dar. Bereits vor dem Krieg ist er als Schriftsteller (Le Crépuscule du matin, La Maladère) und als literarischer Leiter im Verlag Fayard tätig und ganz in seinem Element, als er – nach seiner Tätigkeit als Adjutant von General Guisan – als Kulturattaché in die französische Hauptstadt entsandt wird. In seinem Fall befruchten sich literarische und diplomatische Tätigkeit gegenseitig: Für Chevaux abandonnés sur le champ de bataille (1951) erhält er den Grossen Preis der Académie française und steigt gleichzeitig in der Hierarchie der UNESCO nach oben.

Allerdings handelt es sich bei Barbey um einen Einzelfall. Die Zentrale in Bern ist entschlossen, die Diplomatie weiterhin diskret wirken zu lassen, und nimmt eine ablehnende Haltung ein. 1947 publiziert sie einen Bericht mit dem Titel „Ist der Beruf des Schriftstellers mit dem diplomatischen Dienst vereinbar?“ Die Antwort ist natürlich negativ und dient als Vorwarnung für allfällig literarisch Berufene innerhalb des diplomatischen Personals.

Die literarisch interessierten Diplomaten, als gute Beamte zur Zurückhaltung verpflichtet, entwickeln Strategien, um dieses Hindernis zu umgehen. Dies trifft beispielsweise auf Frédéric Dubois zu, Diplomat in Paris, später in Bern, und Direktor des Bundesamtes für Kultur, der das Pseudonym Julien Dunilac verwendet. (mg)

 

Archivbestände:

BAR, E 3001 (B), 1000/731/56

Literaturverzeichnis:

Rial Jacques, Le bicorne et la plume: les publications de diplomates suisses de 1848 à nos jours: un essai de bibliographie. Diplomats as writers. Msida; Geneva: DiploFoundation; Graduate Institute of International and Development Studies, 2008.

medias

René de Weck, I

Portrait de René de Weck, signé du peintre fribourgeois Hiram Brulhart (collection particulière de la famille de Weck).

René de Weck, II

Portrait de René de Weck, signé du peintre fribourgeois Hiram Brulhart (collection particulière de la famille de Weck).

Chevaux abandonnés sur le champ de bataille

Couverture de l'ouvrage de Bernard Barbey: Chevaux abandonnés sur le champ de bataille, Juillard, 1951 (Prix de l’Académie).

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