Diplomaten und Mitglieder der Vereinigung Schweiz-UdSSR beäugen sich misstrauisch in Moskau
Am Ende des Zweiten Weltkriegs verzeichnet die Vereinigung Schweiz-UdSSR einen wichtigen Erfolg. In der Bevölkerung wächst das Verlangen nach einer Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Siegermacht von Stalingrad. Der Vormarsch der Roten Armee an der Ostfront prägt die Wahrnehmung, und das Kriegsende lässt Hoffnung auf einen internationalen Frieden keimen.
1944 entsteht eine erste Vereinigung, die Gesellschaft zur Förderung und Pflege normaler Beziehungen zwischen der Schweiz und der Sowjetunion. Sie entwickelt sich vor allem in Zusammenhang mit einer an den Bundesrat gerichteten Petition, die eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der neuen Grossmacht fordert. In der Vereinigung sind zu diesem Zeitpunkt Persönlichkeiten aus einem breiten politischen Spektrum vertreten. Den harten Kern bilden hauptsächlich emigrierte deutsche Künstler wie die Schauspielerin Mathilde Danegger, Professoren der Universität Basel wie Fritz Lieb und Elsa Mahler, sowie Mitglieder der Partei der Arbeit.
Der Bundesrat beschliesst 1946 die Wiederaufnahme der diplomatischen Kontakte, allerdings weniger wegen der Petition als aus politischem Kalkül. Der Aufbau universeller internationaler Beziehungen dient der Legitimierung der Neutralität. Vier Jahre später findet das gleiche Prinzip im Fall der Beziehungen mit China Anwendung.
Im April 1945 wird die Vereinigung offiziell zur Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion (GSS); zu diesem Zeitpunkt zählt sie ungefähr 2’500 Mitglieder. Nach der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen verlassen zahlreiche Persönlichkeiten die GSS und ihr Umfeld. Der Kalte Krieg verringert die Perspektiven kultureller und wirtschaftlicher Kontakte mit der Sowjetunion drastisch. Als Folge dieser Abgänge tendiert die Gesellschaft politisch nun deutlich nach links, zur Partei der Arbeit und zur Organisation „Arbeit und Kultur“. Dies grenzt sie aus der Schweizer Kulturdiplomatie aus, obschon ihr Präsident, Fritz Lieb, regelmässige Kontakte mit Max Petitpierre unterhält.
Trotz der Herausgabe zweier Zeitschriften, auf Französisch und auf Deutsch, der regelmässigen Organisation von Kongressen und Veranstaltungen – oft finden die Abendveranstaltungen der Lokalsektionen zu einem bestimmten Diskussionsthema statt und enden mit der Vorführung eines sowjetischen Films – bleiben die Aktivitäten der in den 1950er Jahren vom Maler Paul Camenisch geleiteten GSS begrenzt. Ihre Kontakte mit der sowjetischen Botschaft verhindern jedoch einen völligen Abbruch der Beziehungen zwischen der Schweiz und der UdSSR. Mehrere Delegationen von Journalisten, Ärzten, Frauen und Arbeitern profitieren von den Kontakten bei Reisen in die Sowjetunion oder umgekehrt in die Schweiz. Gleichzeitig sieht sich die Gesellschaft dem Vorwurf einer „fünften Kolonne“ ausgesetzt, vor allem während der antikommunistischen Demonstrationen von 1956, die zum Boykott der Kulturbeziehungen mit dem Ostblock aufrufen.
Paradoxerweise erhält die GSS von diesem Zeitpunkt an mehr Aufmerksamkeit, als Folge des intensiveren Ost-West-Austauschs im Kontext der friedlichen Koexistenz. In Moskau führt die VOKS (die Gesellschaft für den Kulturaustausch zwischen der UdSSR und dem Ausland) Reformen durch, welche die sowjetischen Behörden veranlassen, unter dem Patronat des Staatskomitees für die Kulturbeziehungen mit dem Ausland eine Schwesterorganisation der GSS zu gründen, die Gesellschaft UdSSR-Schweiz. Ab 1961 findet in Moskau – meist im Maxime Gorki-Institut – eine jährliche Zusammenkunft statt, die der Unterzeichnung eines „Kulturabkommens“ zwischen beiden Gesellschaften dient. Die offizielle Schweiz lehnt den Abschluss solcher Abkommen mit anderen Ländern ab.
Das Politische Departement fühlt sich durch die Tätigkeiten der inoffiziellen und politisch aufrührerischen Gesellschaft übergangen. 1961 organisiert die GSS beispielsweise nach dem Muster der offiziellen Kulturveranstaltungen eine Bücherausstellung in Moskau. Eine Verbesserung der offiziellen Kulturbeziehungen tritt erst mit der Architekturausstellung von 1968 ein, die von Pro Helvetia organisiert wird. (mg)
Archivbestände:
Sozialarchiv Zürich: Gesellschaft Schweiz-Sowjetunion, Ar 23.
Literaturverzeichnis:
Gillabert Matthieu, „L’Association Suisse-URSS dans la Guerre froide : quête de légitimité dans les relations culturelles“, in Briegel Françoise, Farré Sébastien, Rites, hiérarchies, Georg éditeur : Chêne-Bourg, 2010, S. 133-145.