Die Filmemacher und der Zweite Weltkrieg
Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nehmen die Kulturschaffenden in den Kontroversen um die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs einen wichtigen Platz ein. Neben zahlreichen Schriftstellern setzen sich auch die Filmemacher in ihren Werken mit dem traditionellen Bild einer neutralen, humanitären und im Widerstand gegen den Totalitarismus geeinten Schweiz auseinander. Ihre Filme sind Teil einer breiten Diskussion über die Vergangenheit des Landes, die ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren mit der internationalen Polemik um die nachrichtenlosen Vermögen erreicht.
Das kritische Potential des Films wird erstmals 1976 in dem von Richard Dindo in Zusammenarbeit mit dem Publizisten Niklaus Meienberg produzierten Dokumentarfilm Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. deutlich. In diesem Film kommen die verschiedenen Formen der offiziellen Kollaboration mit Nazi-Deutschland zur Sprache, die unbestraft bleiben, während den kleinen Fischen der Prozess gemacht wird. Die Montage-Technik und der Einbezug von zeitgenössischem Filmmaterial verdeutlichen die Diskrepanz zwischen den offiziellen Darstellungen und der Wirklichkeit. Im Bundesrat ruft der Film von Dindo Empörung hervor. Der zuständige Bundesrat Hans Hürlimann wirft dem Filmemacher im Dezember 1976 eine Manipulation des Kinopublikums vor und kritisiert eine falsche Darstellung der Schweizer Haltung während des Kriegs. Zudem wird dem Film die Qualitätsprämie verweigert.
Anfangs der 1980er Jahre schlägt sich die Aufarbeitung der Vergangenheit auch im Spielfilm nieder. Markus Imhoof greift 1981 in seinem Film Das Boot ist voll eines der dunkelsten Kapitel der Schweizer Flüchtlingspolitik auf und bricht mit dem Mythos der humanitären Tradition. Da Flüchtlinge „nur aus Rassegründen“ kein Anrecht auf Asyl haben, werden sie von der Armee an die Grenze geschafft und dort den deutschen Behörden übergeben. Der Film Imhoofs ist auf den Erfahrungshorizont des Durchschnittsbürgers ausgerichtet und beschreibt nuanciert die latente Fremdenfeindlichkeit der Schweizer Gesellschaft.
Zwei Jahre später berührt Thomas Koerfer in seinem SpielfilmGlut einen weiteren neuralgischen Punkt des kollektiven Gedächtnisses. Im Mittelpunkt dieses Films stehen die Waffenlieferungen der Schweizer Industrie an das Dritte Reich und die engen Verflechtungen zwischen der Wirtschaft und dem politischen Establishment. Die auf zwei Zeitebenen aufgebaute Handlung suggeriert eine Wiederholung der Geschichte in der Gegenwart und verfügt damit auch über ein kritisches Potential im Bezug auf aktuelle politische Diskussionen.
Die in den 1970er Jahren erfolgte Ausrichtung von Pro Helvetia auf das zeitgenössische Kulturschaffen führt dazu, dass die meisten Filme zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu einem Bestandteil der kulturellen Präsenz im Ausland werden. Das wichtigste Mittel zum Export der Filme sind die seit Ende der 1960er Jahre von der Kulturstiftung durchgeführten Schweizer Filmwochen. Der Einbezug von Filmen, die im Inland in der Kritik stehen, erklärt das Konfliktpotential dieser Veranstaltungen. Die Filmwochen lösen insbesondere in den Schweizerkolonien und bei den diplomatischen Vertretungen immer wieder negative Reaktionen aus.
1997 zeigt Pro Helvetia in den USA das Projekt World War II – and Switzerland?, in dessen Mittelpunkt Filme zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg stehen. Diese auf dem Höhepunkt der Polemik zu den nachrichtenlosen Vermögen gestartete Initiative wird von rechten politischen Kreisen heftig kritisiert. Christoph Blocher nutzt sie in seiner Rede zum Eizenstat-Bericht für eine Pauschalabrechnung mit der Politik der Kulturstiftung. (tk)
Literaturhinweise
Bühler, Rahel : Pro oder Contra Helvetia? Die Wahrnehmung der Kulturstiftung in der Schweizer Öffentlichkeit, in : Hauser, Claude; Seger, Bruno; Tanner, Jakob: Zwischen Kultur und Politik. Pro Helvetia 1939 bis 2009, Zürich, NZZ Libro, Genf, Slatkine 2010, SS. 189-220.
Schaub, Martin : L’usage de la liberté : le nouveau cinéma suisse 1964-1984, L’Age d’Homme, Lausanne 1985