Die Filmemacher und der Zweite Weltkrieg

par Thomas Kadelbach

Thomas Kadelbach, né en 1979. Après des études d'histoire et littérature française à Angers, Fribourg et Madrid, il collabore au projet de recherche FNS Les relations culturelles internationales de la Suisse, 1945-1990. Thèse de doctorat sur Pro Helvetia et l'image de la Suisse à l'étranger. Actuellement collaborateur scientifique à l'Université de Neuchâtel.
, Thomas Kadelbach, born in 1979. Studied history and French literature in Angers, Fribourg and Madrid. Research assistant in the SNSF research project Switzerland's International Cultural Relations, 1945-1990. PhD thesis on Pro Helvetia and the image of Switzerland abroad. Currently scientific collaborator at the University of Neuchâtel.

film
Filmwoche
Zweiter Weltkrieg

Seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre nehmen die Kulturschaffenden in den Kontroversen um die Rolle der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs einen wichtigen Platz ein. Neben zahlreichen Schriftstellern setzen sich auch die Filmemacher in ihren Werken mit dem traditionellen Bild einer neutralen, humanitären und im Widerstand gegen den Totalitarismus geeinten Schweiz auseinander. Ihre Filme sind Teil einer breiten Diskussion über die Vergangenheit des Landes, die ihren Höhepunkt in den 1990er Jahren mit der internationalen Polemik um die nachrichtenlosen Vermögen erreicht.

Das kritische Potential des Films wird erstmals 1976 in dem von Richard Dindo in Zusammenarbeit mit dem Publizisten Niklaus Meienberg produzierten Dokumentarfilm Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. deutlich. In diesem Film kommen die verschiedenen Formen der offiziellen Kollaboration mit Nazi-Deutschland zur Sprache, die unbestraft bleiben, während den kleinen Fischen der Prozess gemacht wird. Die Montage-Technik und der Einbezug von zeitgenössischem Filmmaterial verdeutlichen die Diskrepanz zwischen den offiziellen Darstellungen und der Wirklichkeit. Im Bundesrat ruft der Film von Dindo Empörung hervor. Der zuständige Bundesrat Hans Hürlimann wirft dem Filmemacher im Dezember 1976 eine Manipulation des Kinopublikums vor und kritisiert eine falsche Darstellung der Schweizer Haltung während des Kriegs. Zudem wird dem Film die Qualitätsprämie verweigert.

Anfangs der 1980er Jahre schlägt sich die Aufarbeitung der Vergangenheit auch im Spielfilm nieder. Markus Imhoof greift 1981 in seinem Film Das Boot ist voll eines der dunkelsten Kapitel der Schweizer Flüchtlingspolitik auf und bricht mit dem Mythos der humanitären Tradition. Da Flüchtlinge „nur aus Rassegründen“ kein Anrecht auf Asyl haben, werden sie von der Armee an die Grenze geschafft und dort den deutschen Behörden übergeben. Der Film Imhoofs ist auf den Erfahrungshorizont des Durchschnittsbürgers ausgerichtet und beschreibt nuanciert die latente Fremdenfeindlichkeit der Schweizer Gesellschaft.

Zwei Jahre später berührt Thomas Koerfer in seinem SpielfilmGlut einen weiteren neuralgischen Punkt des kollektiven Gedächtnisses. Im Mittelpunkt dieses Films stehen die Waffenlieferungen der Schweizer Industrie an das Dritte Reich und die engen Verflechtungen zwischen der Wirtschaft und dem politischen Establishment. Die auf zwei Zeitebenen aufgebaute Handlung suggeriert eine Wiederholung der Geschichte in der Gegenwart und verfügt damit auch über ein kritisches Potential im Bezug auf aktuelle politische Diskussionen.

Die in den 1970er Jahren erfolgte Ausrichtung von Pro Helvetia auf das zeitgenössische Kulturschaffen führt dazu, dass die meisten Filme zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg zu einem Bestandteil der kulturellen Präsenz im Ausland werden. Das wichtigste Mittel zum Export der Filme sind die seit Ende der 1960er Jahre von der Kulturstiftung durchgeführten Schweizer Filmwochen. Der Einbezug von Filmen, die im Inland in der Kritik stehen, erklärt das Konfliktpotential dieser Veranstaltungen. Die Filmwochen lösen insbesondere in den Schweizerkolonien und bei den diplomatischen Vertretungen immer wieder negative Reaktionen aus.

1997 zeigt Pro Helvetia in den USA das Projekt World War II – and Switzerland?, in dessen Mittelpunkt Filme zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg stehen. Diese auf dem Höhepunkt der Polemik zu den nachrichtenlosen Vermögen gestartete Initiative wird von rechten politischen Kreisen heftig kritisiert. Christoph Blocher nutzt sie in seiner Rede zum Eizenstat-Bericht für eine Pauschalabrechnung mit der Politik der Kulturstiftung. (tk)

Literaturhinweise
Bühler, Rahel : Pro oder Contra Helvetia? Die Wahrnehmung der Kulturstiftung in der Schweizer Öffentlichkeit, in : Hauser, Claude; Seger, Bruno; Tanner, Jakob: Zwischen Kultur und Politik. Pro Helvetia 1939 bis 2009, Zürich, NZZ Libro, Genf, Slatkine 2010, SS. 189-220.
Schaub, Martin : L’usage de la liberté : le nouveau cinéma suisse 1964-1984, L’Age d’Homme, Lausanne 1985

medias

"Das Boot ist voll"

Der Film von Markus Imhoof erzählt das Schicksal einer Gruppe von Personen, die im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz Zuflucht suchen. Sie wissen nicht, dass ihnen nur eine kurze Atempause gewährt wird. Der Bundesrat hat entschieden, dass die Opfer von Rassenverfolgungen kein Recht auf Asyl haben. Der Film stellt den Mythos der humanitären Schweiz infrage und steht im Gegensatz zur offiziellen Informationspolitik.

© Markus Imhoof

www.markus-imhoof.ch

 

"Das Boot ist voll"

Mitte der 1980er Jahre ist der Film Das Boot ist voll Teil verschiedener Filmwochen der Schweiz im Ausland.

Plakat von Pro Helvetia, 1987.

Schweizerische Nationalbibliothek, Plakatsammlung

Die Grenze im Schweizer Film

Im Schweizer Film wird das Thema der Grenze vielfach behandelt. Im Gegensatz zum Film Das Boot ist voll steht die Schweizer Grenze im Spielfilm Füsilier Wipf (1938) für Humanität und die Rettung vor Verfolgung. Der Solidaritätsgedanke leitet sich aus der besonderen Mission des neutralen Kleinstaates ab. Die wichtigsten Szenen des Films ereignen sich in den Alpen.  

© Praesens Film
www.praesens.com

Ein Interview mit Markus Imhoof

In diesem Interview unterstreicht Markus Imhoof die Aktualität seines Films Das Boot ist voll.

© Markus Imhoof

Glut

Plakat des Films Glut von Thomas Koerfer.

Schweizer Filmarchiv

Der General und der Waffenproduzent

Glut (1983) von Thomas Koerfer. Während Europa von den Nazis beherrscht wird, liefert der Zürcher Industrielle Korb grosse Mengen an Waffen an das Dritte Reich. Anlässlich des Besuchs des Generals in der Villa des Industriellen arbeiten die Kinder einen Plan aus, um einem polnischen Soldaten die Flucht zu ermöglichen.

1985 organisiert Pro Helvetia in Bologna eine Retrospektive des Werks von Thomas Koerfer.

© Thomas Koerfer

http://www.koerferfilm.com/f/index.html

http://www.artfilm.ch/glut.php

 

"Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S."

Der Dokumentarfilm Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. (1976) von Richard Dindo beschreibt die zahlreichen Formen der offiziellen Zusammenarbeit der Schweiz mit Nazi-Deutschland. Er greift auf Interviews mit Zeitzeugen und Ausschnitte aus der Schweizer Filmwochenschau zurück. In den 1980er Jahren ist der Film Teil zahlreicher Schweizer Filmwochen im Ausland. 

© Richard Dindo

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