Die Praesens Film erfindet die Schweiz
Die 1924 vom polnischen Ingenieur Lazar Wechsler und dem Luftfahrtpionier Walter Mittelholzer in Zürich gegründete Praesens Film AG übt in den 1940er und 1950er Jahren einen entscheidenden Einfluss auf die Wahrnehmung der Schweiz im Ausland aus. Im Einklang mit der offiziellen Informationspolitik widmet sie ihre Filme dem Solidaritätsgedanken und festigt damit den Mythos der humanitären Schweiz. Ihr auf ein internationales Publikum ausgerichtetes Programm trägt dazu bei, dass der Imageverlust der Schweiz in den alliierten Ländern wegen ihrer Rolle im Zweiten Weltkrieg nicht dauerhaft bleibt. Die meisten Spielfilme der Praesens, die die Idee der caritas thematisieren, behaupten sich erfolgreich auf dem internationalen Markt.
Der unter der Regie Leopold Lindtbergs gedrehte Film Marie-Louise läuft Ende 1945 in New York und erhält ein Jahr später den Oscar für das beste Drehbuch. Marie-Louise erzählt die Geschichte eines französischen Mädchens, das den Verwüstungen des Krieges entkommt und in der Schweiz aufgenommen wird. Auch der 1945 entstandene Film Die letzte Chance nimmt die Flüchtlingsproblematik während des Krieges auf, ohne auf die rigiden Schweizer Asylbestimmungen einzugehen. Im Mittelpunkt steht die Flucht einer wild zusammengewürfelten Gruppe, die in der Schweiz Aufnahme findet. Im Ausland erneuert Die letzte Chance das Bild einer neutralen, humanitären Schweiz. Zudem stehen die von Leopold Lindtberg in Szene gesetzten Alpenlandschaften im Einklang mit einer idyllischen, ungetrübten Wahrnehmung des Landes.
Wegen der Sensibilität der Asylproblematik unternimmt der Bundesrat während der Produktion von Die letzte Chance alles, um einen erfolgreichen Abschluss der Dreharbeiten zu verhindern. Erst der internationale Erfolg des Films veranlasst das Politische Departement, die Verbreitung des Films aktiv zu unterstützen. 1946 bestellt Bundesrat Eduard von Steiger, verantwortlich für die Asylpolitik während des Zweiten Weltkriegs und Erfinder des Ausdrucks Das Boot ist voll, bei der Praesens Film einen Dokumentarfilm mit dem Titel Die Schweiz nimmt Flüchtlinge auf, der insbesondere den Vertretern der ausländischen Presse in der Schweiz vorgeführt wird und den humanitären Gedanken propagandistisch aufbereitet.
Anfangs der 1950er Jahre setzt die Praesens Film auf ein weiteres in der ausländischen Wahrnehmung verankertes Bild der Schweiz, um sich vor dem drohenden Konkurs zu retten. In kurzer Folge produziert sie die beiden Filme Heidi und Heidi und Peter, in denen weisse Bergspitzen, Ziegen und Wasserfälle als Markenzeichen der Schweiz präsentiert werden. Heidi erweist sich in den USA als so erfolgreich, dass der Film zahlreiche weiterer Projekte nach sich zieht. Unter anderem organisiert eine Zeitung einen Malwettbewerb mit Heidi-Sujets für Kinder, die eine Reise in die Schweiz gewinnen können. 1953 reisen Heidi (Elsbeth Sigmund) und Peter (Thomas Klameth) nach New York, um der Premiere des Films beizuwohnen. Sie statten auch dem Bürgermeister der Metropole einen Besuch ab und überbringen ihm ein Grusswort seines Zürcher Kollegen.
Die Produktionen der Praesens Film der 1940er und 1950er Jahre stellen die Bedeutung des Films für die internationale Wahrnehmung der Schweiz unter Beweis. Anders als traditionelle Medien wie zum Beispiel Bücher erreicht der Film fast alle sozialen Gruppen und Altersklassen und eröffnet damit der Imagebildung im Ausland neue Möglichkeiten. (tk)
Archivbestände
Schweizer Filmarchiv
Praesens Film
Literaturhinweise
Schaub, Martin: Film in der Schweiz, Zürich, Pro Helvetia 1997
Wider, Werner: Der Schweizer Film 1929-1964. Die Schweiz als Ritual, Zürich, Limmat 1981