Die Schweizer Filmwochen im Ausland
Wenige Projekte von Pro Helvetia erreichen während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine so grosse Verbreitung wie die im Ausland veranstalteten Filmwochen, die dem zeitgenössischen Schweizer Filmschaffen gewidmet sind. Die erste Veranstaltung dieser Art führt die Kulturstiftung 1969 in Paris in Zusammenarbeit mit Schweizer Regisseuren durch. In der Folge werden Filmwochen zu einem der wichtigsten Bestandteile der kulturellen Präsenz der Schweiz im Ausland. Bis Ende der 1980er Jahre organisiert Pro Helvetia Filmwochen in mehr als dreihundert Städten auf sechs Kontinenten. Durch die Ausweitung des Kulturaustauschs auf nicht-westliche Kulturkreise erreichen die Schweizer Filme auch Länder wie Mozambique, Angola und Indonesien, bis zu diesem Zeitpunkt weisse Flecken auf der Karte der Schweizer Kulturgeografie.
Die Schweizer Filmwochen haben ihren Ursprung in der Entwicklung des neuen Schweizer Films ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre, der den von traditionellen Bildern geprägten Heimatfilm der 1940er und 1950er Jahre ablöst. Bereits 1964 spricht Henry Brandt in seinen für die Landesausstellung Expo 64 produzierten Kurzfilmen zahlreiche Themen an, die für den neuen Schweizer Film entscheidend sind. Zu ihnen gehören das Malaise in der Hochkonjunktur, die Einwanderung, die Konsumgesellschaft, ökologische Probleme und die internationale Isolation der Schweiz. Die wichtigsten Vertreter des neuen Schweizer Films in der Westschweiz sind Alain Tanner, Henry Brandt, Michel Soutter, Claude Goretta und Yves Yersin, deren Werke im Zeichen einer kritischen Auseinandersetzung mit der Gegenwart stehen.
Der internationale Erfolg des neuen Schweizer Films veranlasst Pro Helvetia, ihm in ihren Auslandaktivitäten eine grössere Bedeutung beizumessen. In der Geschichte der Kulturstiftung ist das Interesse für den Spielfilm ein relativ junges Phänomen. Bis Ende der 1960er Jahre beschränken sich die Filmaktivitäten von Pro Helvetia auf den Export von meist didaktisch angelegten Dokumentarfilmen über das Schweizer Kulturleben.
Im Ausland tragen die Filmwochen zu einer Aktualisierung und Modernisierung des Bildes der Schweiz bei. Während der neue Schweizer Film im Inland noch in den 1970er Jahren wegen seiner subversiven Dimension von zahlreichen Politikern heftig kritisiert wird, ist er ausserhalb der Grenzen der Botschafter eines Landes, das sich mit den gleichen Problemen konfrontiert sieht wie andere Nationen. An Schweizer Filmwochen werden unter anderem die Dokumentarfilme Siamo Italiani von Alexander Seiler und Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S. gezeigt, die beide im Widerspruch zur offiziellen Schweizpropaganda stehen.
Angesichts des kritischen Potentials des neuen Schweizer Films ist es nicht verwunderlich, dass die Filmwochen in vielen Fällen von Auslandschweizern und den diplomatischen Vertretungen kritisiert werden. 1972 streicht der Konsul in Montreal kurzerhand jene Filme aus einem von Pro Helvetia zusammengestellten Filmprogramm, die seiner Ansicht nach dem Ruf der Schweiz schaden. (tk)
Archivbestände
BAR E2003(A) 1980/85, Bd. 385
Literaturhinweise
Buache, Freddy: Le cinéma suisse, Lausanne, L‘Age d’Homme 1974
Schaub, Martin: L’usage de la liberté : le nouveau cinéma suisse 1964-1984, L’Age d’Homme, Lausanne 1985